
Teilhabeatlas
Kinder und Jugendliche
Wie sich ihre Lebensverhältnisse in Deutschland unterscheiden und was ihnen wichtig ist
Die Wüstenrot Stiftung, das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung und die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung haben die Teilhabechancen von jungen Menschen in Deutschlands Regionen untersucht.
Im „Teilhabeatlas Kinder und Jugendliche“ sind wir der Frage nachgegangen, wie die Teilhabemöglichkeiten von jungen Menschen in Deutschland verteilt sind. Dafür haben wir statistische Kennzahlen zu Teilhabe in den 400 Kreisen und kreisfreien Städten verglichen und sind in acht Regionen gefahren, um Gespräche mit Menschen vor Ort zu führen.
Kinder und Jugendliche haben uns dort von ihren Eindrücken und Wünschen erzählt. Auch mit Erwachsenen aus der Kinder- und Jugendarbeit haben wir gesprochen. Die Kernergebnisse stellen wir in diesem Online Tool vor.
Teilhabe ist das Recht und die Möglichkeit, gleichberechtigt und selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Gleichberechtigt bedeutet, dass alle jungen Menschen Zugang zu den sozialen Errungenschaften unserer Gesellschaft haben, z.B. zu guter Bildung, vielfältigen Freizeitmöglichkeiten und attraktiven Übergangsmöglichkeiten von der Schule in den Beruf. Selbstbestimmt meint, dass Kinder und Jugendliche ihr Leben nach den eigenen Vorstellungen gestalten können. Das bedeutet auch, dass sie die Möglichkeit haben, bei Entscheidungen mitzusprechen und mitzubestimmen.
Stimmen von Kindern & Jugendlichen
Kinder und Jugendlich in acht Regionen haben uns erzählt, wie sie ihre Teilhabechancen wahrnehmen und was ihnen wichtig ist.
Erfahren sie mehr anhand der folgenden drei Aspekte.
Teilhabechancen in Zahlen
Die Datenauswertung zeigt, wie sich Teilhabechancen in Deutschland statistisch unterscheiden.
Handlungsempfehlungen
Was können wir ändern, um die Teilhabechancen junger Menschen zu erhöhen? Lesen Sie es hier.
Stimmen – Was ist Kindern und Jugendlichen an ihrem Wohnort wichtig?
In acht Regionen treffen wir Kinder und Jugendliche und sprechen mit ihnen über ihre Teilhabemöglichkeiten.
Unterwegs in Deutschland: Wir sind in acht Regionen gereist, in denen die Teilhabemöglichkeiten von jungen Menschen – statistisch gesehen – sehr unterschiedlich sind. Vor Ort sprachen wir mit jungen Menschen über ihre Teilhabemöglichkeiten. In 35 leitfadengestützten Gruppengesprächen haben wir die Perspektiven von insgesamt 222 Kindern und Jugendlichen zwischen 6 und 25 Jahren aufgenommen.
Die Gespräche zeigen, dass jungen Menschen insbesondere drei Aspekte von Teilhabe an ihrem Wohnort wichtig sind:
1. Attraktive Freizeitmöglichkeiten: Junge Menschen brauchen vielfältige und bedarfsgerechte Freizeitangebote, z.B. im Verein und im öffentlichen Raum, die sie selbstbestimmt nutzen können.
2. Selbstbestimmung: Kinder und Jugendliche wollen sich an ihrem Wohnort eigenständig bewegen – dafür ist neben einem gut ausgebauten ÖPNV und Fahrradwegen auch die eigene Sicherheit wichtig.
3. Echte Beteiligungsmöglichkeiten: Junge Menschen wollen mitsprechen und mitbestimmen – sei es in der Kommune, der Schule oder im Verein. Dafür brauchen sie mehr und inklusivere Möglichkeiten, um ihre Ideen einzubringen und in die Tat umzusetzen.
Junge Menschen in Deutschland haben unterschiedliche Teilhabemöglichkeiten – diese sind neben den strukturellen Voraussetzungen vor Ort auch abhängig von individuellen Faktoren, wie dem Alter, dem Bildungshintergrund, den sozioökonomischen Voraussetzungen und dem Geschlecht.
Freizeitmöglichkeiten
Leitfrage: Was ist jungen Menschen an ihrem Wohnort wichtig?

Die meisten Kinder und Jugendlichen wünschen sich gut erreichbare und abwechslungsreiche Angebote, ihre Freizeit zu gestalten – in der Stadt genauso wie auf dem Land. Ob Proberäume für Bands, Räume für Tanzkurse, Fußballplätze, Skateparks, Sporthallen, Spielplätze oder Jugendzentren: Die Interessen, wo und wie sie die Zeit nach dem letzten Läuten der Schulglocke verbringen wollen, sind vielfältig. Diese Orte sollten dabei möglichst jederzeit und kostenlos zugänglich sein.
Viele junge Menschen fühlen sich jedoch bei der Gestaltung des öffentlichen Raums nicht ausreichend beteiligt. Sie nutzen etwa Parks und Grünanlagen, um sich mit Gleichaltrigen zu treffen. An kalten Tagen fehlt es an diesen Orten jedoch häufig an Möglichkeiten sich unterzustellen und aufzuwärmen, sowie an öffentlichen Toiletten. Dann braucht es alternative Treffpunkte.
Damit junge Menschen sich ohne Druck entfalten können, müssen sie sich an diesen Orten sicher und akzeptiert fühlen. Sie wollen von Anwohnenden oder anderen Erwachsenen nicht nur als Störfaktor wahrgenommen werden. Kinder und Jugendliche sollten daher bei der Gestaltung öffentlicher Räume und Angebote beteiligt werden.
Stimmen aus unseren Interviews

„Ich finde es toll hier, weil wir nicht so weit vom Spielplatz wohnen.“ (Kind, Landkreis Görlitz)

„Leerstehende Räume sollten renoviert und öffentliche Freizeitmöglichkeiten und Feierräume für Jugendliche geschaffen werden.“ (Jugendliche:r, Potsdam-Mittelmark)

„Positiv ist der Jugendtreff, wo wir zusammen groß werden. Wir spielen hier zusammen Fifa und dann wird ne Freundschaft draus.“ (Jugendlicher, Wuppertal)
Selbstbestimmung
Leitfrage: Was ist jungen Menschen an ihrem Wohnort wichtig?

Kinder und Jugendliche wollen an ihrem Wohnort unabhängig und selbstbestimmt unterwegs sein. Hierzu brauchen sie zunächst eine gute Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln und sicheren Radwegen. Denn die schönsten Freizeitangebote bringen wenig, wenn junge Menschen sie nicht ohne elterliche Hilfe erreichen können. Gerade in ländlichen Regionen und Kleinstädten dürfen Busfahrpläne nicht allein auf Schulzeiten ausgerichtet sein, sondern sollten auch berücksichtigen, dass junge Menschen am Nachmittag aktiv sind und abends wieder nach Hause möchten.
Eine eigenständige Fortbewegung kommt dabei allerdings in der Regel nur infrage, wenn junge Menschen sich unterwegs auch sicher fühlen und auch die Eltern darauf vertrauen können, dass ihre Kinder geschützt sind. Dazu zählt die Beleuchtung an Bushaltestellen und von Wegen genauso wie separierte Fahrradwege. Erst dann können sie sich frei und ohne Angst bewegen.
Um wirklich selbstbestimmt zu entscheiden, wohin sie gehen und welche Sportangebote oder kulturelle Aktivitäten sie in Anspruch nehmen, brauchen alle Kinder und Jugendlichen den gleichen Zugang. Und zwar nicht nur formal, sondern auch in der Praxis – also unabhängig vom sozioökonomischen Hintergrund der Eltern sowie von Faktoren wie Geschlecht, Herkunft, Sexualität oder körperlichen Einschränkungen. Sie wünschen sich Unterstützung, wenn sie verbal oder physisch diskriminiert oder gemobbt werden. Die Mehrheit der jungen Menschen wünscht sich eine faire, respektvolle und offene Gesellschaft.
Stimmen aus unseren Interviews

„Zumindest im Sommer ist Fahrrad fahren was, womit man mobiler ist. Aber nur, wenn man nicht ständig Sorge haben muss, dass man auf der Landstraße überfahren wird.“ (Schülerin, Neckar-Odenwald-Kreis)

„Es gibt auch viele Junge, die queerfeindlich sind. Da hab ich dann schon auch Angst zu erzählen, dass ich queer bin. Bei Älteren ist es noch schlimmer.“ (Jugendliche, Ingolstadt)

„Sie sagen, wir sind alle gleich, das stimmt aber nicht.“ (Jugendbeirätin, Ingolstadt)
Beteiligung
Leitfrage: Was ist jungen Menschen an ihrem Wohnort wichtig?

Kinder und Jugendliche wollen mitreden und ihr Umfeld aktiv mitgestalten. Sie können konkret benennen, was vor Ort verbessert werden muss, und haben viele Ideen: Hier das leerstehende Gebäude für einen neuen Freizeittreff nutzen, dort den Schulweg sicher machen. Dennoch haben sie oft das Gefühl, nicht ernstgenommen und gehört zu werden und ihre Umgebung nicht mitgestalten zu können.
Es gibt gute Beispiele in Städten und Gemeinden, die zeigen, dass es auch anders geht. Junge Menschen gestalten Jugendräume oder werden an Bauplanungen beteiligt. So erfahren sie Selbstwirksamkeit und echte Teilhabe.
Landauf, landab existieren vielfältige Ansätze, um Kinder und Jugendliche an Entscheidungsprozessen zu beteiligen, sei es in der Schule durch Klassensprecher:innen, in der Lokalpolitik durch Jugendparlamente oder durch projektorientierte Beteiligungsformen. Jedoch erreichen diese Angebote nicht alle jungen Leute gleichermaßen. Es braucht Maßnahmen und Begleitung, um gezielt auch diejenigen jungen Menschen zu erreichen, die sich seltener einbringen.
So bieten Gymnasien ihren Schüler:innen weitaus mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten an als etwa Real- oder Mittelschulen. Auch in Jugendbeiräten sind überwiegend Gymnasiastinnen und Gymnasiasten aus wohlhabenderen Familien vertreten. So unterschiedlich Kinder und Jugendliche und ihre Bedürfnisse sind, so divers und inklusiv muss auch Beteiligung gestaltet sein. Als Expert:innen in eigener Sache haben sie schließlich die zielführendsten Antworten darauf, wie Teilhabe für alle gelingen kann.
Stimmen aus unseren Interviews

„Im Jugendcafé zeigen sie mehr Interesse an unserer Meinung als in der Schule oder im Fußballverein.“ (Jugendlicher, Wuppertal)

„Ich habe es noch nicht wirklich versucht, mitzusprechen oder mich zu beteiligen, wir werden aber als Jugendliche eh nicht gehört oder ernst genommen.“ (Jugendliche, Ingolstadt)

„Wir sind nicht dafür da, den Politikern hinterher zu rennen. Die sollten hinter uns herrennen!“ (Jugendbeirätin, Potsdam-Mittelmark)
Handlungsempfehlungen für mehr Teilhabe
Teilhabe für junge Menschen zu ermöglichen, muss eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe werden und erfordert einen klaren politischen Willen auf allen Ebenen. Unsere Handlungsempfehlungen – in den vier Themenfeldern Bildung, Freizeitmöglichkeiten, Selbstbestimmung und Beteiligung – richten sich daher an Verantwortliche im Bund, in den Ländern und vor Ort in den Kommunen.
Bildung
- Gezielt in Bildung investieren – unter Berücksichtigung regionaler Bedarfe
- Fachkräftepotenzial gering qualifizierter junger Menschen erschließen
Freizeitmöglichkeiten
- Kostenlose und vielfältige Freizeitangebote für junge Menschen schaffen
- Freizeittreffs für Kinder und Jugendliche fördern – alle jungen Menschen erreichen
- Öffentliche Räume für Kinder- und Jugendliche zugänglich gestalten
Selbstbestimmung
- Öffentlichen Nahverkehr und Fuß- und Fahrradwege ausbauen
- Sicherheit im öffentlichen Raum gewährleisten
- Digitale Teilhabe flächendeckend ermöglichen
Beteiligung
- Junge Menschen an Entscheidungen, die ihre Lebenswelt betreffen, beteiligen
- Interessen junger Menschen mehr politisches Gewicht verleihen
Teilhabechancen in Zahlen
Die Datenauswertung zeigt, wie sich Teilhabechancen in Deutschland statistisch unterscheiden. Erfahren Sie hier mehr.
Wüstenrot Stiftung
Die Wüstenrot Stiftung arbeitet ausschließlich und unmittelbar gemeinnützig in den Bereichen Denkmalpflege, Wissenschaft, Forschung, Bildung, Kunst und Kultur.
Als operativ tätige Stiftung initiiert, konzipiert und realisiert die Wüstenrot Stiftung selbst Projekte und fördert darüber hinaus die Umsetzung herausragender Ideen und Projekte anderer Institutionen durch finanzielle Zuwendungen.
Weitere Informationen finden Sie unter wuestenrot-stiftung.de.
Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung
Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung ist ein unabhängiger Thinktank, der sich mit Fragen regionaler und globaler demografischer Veränderungen beschäftigt.
In seinen Studien, Diskussions- und Hintergrundpapieren bereitet das Berlin-Institut wissenschaftliche Informationen für den politischen Entscheidungsprozess auf.
Weitere Informationen finden Sie unter www.berlin-institut.org.
DKJS – Deutsche Kinder- und Jugendstiftung
Jedem Kind ein Hier, ein Jetzt und eine Zukunft. Die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) setzt sich ein für mehr Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit für Kinder und Jugendliche. Dafür bringt die DKJS Akteure aus Bildung, Politik und Zivilgesellschaft zusammen und entwickelt mit ihnen wirksame Lösungen auf aktuelle Herausforderungen im Bildungssystem. www.dkjs.de